Hat Pius XII. schon die modernistische Lehre über den Ökumenismus vertreten?

Unlängst bekam ich eine Schrift über Pius XII. in die Hände. Der Autor vertrat die Meinung, dass schon Pius XII. ein modernistischer Papst gewesen sei. Dabei war eines seiner Argumente, dass er schon die ökumenische Bewegung gefördert und anerkannt hätte.
Diesen Punkt möchte ich im Folgenden etwas näher beleuchten. Erstens, weil ein Eingehen auf die gesamte eben erwähnte Schrift über Pius XII. den Rahmen hier sprengen würde, und zweitens, weil es von besonderem Interesse ist, was Pius XII. gerade über die Ökumene sagt, da sie ein sehr wichtiges Thema in den Texten des Zweiten Vatikanums ist und einer der Punkte, in denen es sich klar von der katholischen Lehre entfernt hat.
Um die Position Pius‘ XII. darzustellen werde ich mich auf den Text beziehen, den der Autor der oben erwähnten Schrift zitiert. Es handelt sich hier um die Instruktion über die Ökumenische Bewegung vom 20.12.1949 „De Motione ‚Oecumenica‘“, die unter Pius XII. vom Heiligen Offizium herausgegeben wurde.
Bevor wir beginnen, klären wir kurz die Frage, was die Ökumenische Bewegung eigentlich ist. Die Ökumenische Bewegung wurde etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts anfangs nur von Protestanten begründet und stellte den Versuch dar, eine Einheit unter den verschiedenen protestantischen Konfessionen herzustellen. Als später mehr und mehr Beteiligung auch von katholischer Seite hinzukam, hat sich dieses Ziel der Einheit auf alle Christen ausgeweitet. So heißt es im Dekret über den Ökumenismus des Zweiten Vatikanischen Konzils „Unitatis redintegratio“ einleitend: „Die Wiederherstellung der Einheit unter allen Christen zu fördern ist eines von den Hauptvorhaben der Heiligen Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Synode“1.
Nun zum Inhalt von „De Motione ‚Oecumenica‘“. Zu Beginn stellt das Heilige Offizium klar, dass die katholische Kirche im Prinzip alle Versuche unterstützt, die das Ziel haben, eine Einheit unter den Christen herzustellen:
„Wenn auch die katholische Kirche nicht an ökumenischen Kongressen und anderen Zusammenkünften teilnimmt, so hat sie doch nie unterlassen, wie aus zahlreichen päpstlichen Dokumenten hervorgeht, und wird auch inskünftig niemals davon ablassen, mit aufmerksamstem Interesse und inständigem Gebet alle Versuche zu unterstützen, die sich zu erreichen bemühen, was Christus so sehr am Herzen lag, dass nämlich alle, die an Ihn glauben, vollkommen eins seien (Herv. orig.).“2
Im weiteren anerkennt es, dass die bisherigen Versuche, die unternommen wurden, um die akatholischen Christen mit der katholischen Kirche zu versöhnen, von guten Absichten getragen wurden, aber es weist doch auch darauf hin, dass die Erfahrung gezeigt hat, dass es bestimmte Gefahren zu vermeiden gilt.
Daher will das Heilige Offizium einige Punkte in Erinnerung rufen, die beim Umgang mit der ökumenischen Bewegung zu beachten sind. Es wird z.B. Aufgabe der Bischöfe sein, die ja von Gott dazu bestellt sind, die Kirche zu regieren und zu führen, die Bewegung zu fördern, aber auch zu leiten und zu überwachen. Besonderes Augenmerk müssen sie dabei darauf verwenden, „dass nicht unter dem falschen Vorwande, man müsse eher auf das achten, was uns eint, als auf das, was uns trennt, ein gefährlicher Indifferentismus (Gleichwertig- und Gleichgültighalten verschiedener religiöser Ansichten - Anm.) gefördert werde“. Dieser Hinweis ist besonders interessant, da er genau das anspricht, worauf die Ökumene heute größtenteils hinausläuft. Dass man sich darauf besinnt, was man mit anderen christlichen Konfessionen oder im weiteren dann auch mit anderen Religionen gemeinsam hat, und die Lehren, in denen man sich unterscheidet, als sekundär beiseitelässt, um sich dann auf diesem gemeinsamen Boden eine Einheitsreligion zu schaffen, in der sich alle treffen können.
Außerdem kann man die Glaubensinhalte nicht in wichtige und unwichtige einteilen. Es gibt zwar Themen, zu denen die Kirche (noch) keine verbindliche Erklärung abgegeben hat – man spricht dann von theologischen Meinungen. Und da die Kirche in diesen Aussagen noch kein endgültiges Urteil gefällt hat, ist auch der Gläubige nicht verpflichtet, sie anzunehmen. Wenn aber etwas Teil der Lehre der Kirche ist, d.h. wenn es als Glaubenssatz definiert wurde, dann kann man nicht unterscheiden in wichtig und unwichtig. Entweder ich nehme den Glauben an oder nicht. In unserem Text wird das folgendermaßen ausgedrückt: „Außerdem ist es absolut unstatthaft, auf dem Gebiet der Glaubenswahrheiten den von ihnen eingeführten Unterschied zwischen den sogenannten ‚grundlegenden‘ und ‚nichtgrundlegenden‘ Glaubenswahrheiten zu machen, als müssten die grundlegenden von allen angenommen werden, während die nichtgrundlegenden der freien Zustimmung der Gläubigen überlassen werden könnten.“
Das Problem ist: wenn man diese Unterscheidung macht, dann liegt es nahe, die verschiedenen Denominationen oder sogar Religionen als Ausdrucksformen ein und desselben Glaubens zu sehen und dann im Indifferentismus zu enden. Leider finden wir diese Haltung heute bei einem Großteil der westlichen Bevölkerung. Wie klar hat das Pius XII. damals gesehen, als er gerade vor dieser Gefahr warnte! Das Heilige Offizium kommt nun noch auf die Foren zu sprechen, im Rahmen derer Ökumene oft praktiziert wird, die ökumenischen Versammlungen: „Was insbesondere die gemischten Versammlungen und Konferenzen von Katholiken und Akatholiken betrifft, die in neuester Zeit zur Förderung der Wiedervereinigung im Glauben mancherorts veranstaltet wurden, ist unbedingt eine besondere Wachsamkeit und Wegleitung der Ordinarien vonnöten. Denn mögen auch diese Treffen die erwünschte Gelegenheit schaffen, um unter den Nichtkatholiken die Kenntnis der katholischen Lehre zu verbreiten, die ihnen bis dahin meist ungenügend bekannt ist, so bergen sie doch auch für die Katholiken allzu leicht die ernste Gefahr des Indifferentismus. Wo eine gewisse Hoffnung auf guten Erfolg begründet erscheint, wird der Ortsbischof Maßnahmen treffen für eine geordnete Betreuung, indem er für diese Zusammenkünfte fachmännisch geschulte Priester bezeichnet, die befähigt sind, die katholische Lehre einwandfrei und zweckgemäß darzulegen und zu verteidigen.
Die Gläubigen sollen jedoch an diesen Veranstaltungen nicht teilnehmen ohne besondere Erlaubnis der kirchlichen Behörden, die nur jenen zu gewähren ist, die als gut unterrichtet und standhaft im Glauben bekannt sind. Wo jedoch die Hoffnung auf guten Erfolg nicht begründet ist, oder falls man anderweitige Gefahren besonderer Art befürchtet, sollen die Gläubigen von diesen Veranstaltungen in kluger Weise ferngehalten und die Konferenzen selber rechtzeitig aufgelöst oder allmählich eingestellt werden. Da jedoch die Erfahrung lehrt, dass größere Versammlungen dieser Art wenig Frucht und im allgemeinen mehr Gefahren mit sich zu bringen pflegen, gestatte man sie nur nach sehr eingehender Prüfung.
Zu Gesprächen zwischen katholischen und akatholischen Theologen hingegen sollen nur Priester entsandt werden, die sich dafür als wahrhaft geeignet erwiesen haben durch ihr theologisches Wissen und ihre unerschütterliche Treue gegenüber den diesbezüglichen Grundsätzen und Richtlinien der Kirche.“
Das Heilige Offizium sieht also eine gewisse Chance, dass Versammlungen von Katholiken und Akatholiken dazu dienen, „unter den Nichtkatholiken die Kenntnis der katholischen Lehre zu verbreiten“. Viele - ja man muss wohl sagen die meisten - Akatholiken kennen den katholischen Glauben ja nur unvollständig oder ihr Bild ist verzerrt durch Vorurteile, die ja gerade in der modernen Zeit von den Medien immer wieder aufgewärmt und oft kritiklos übernommen werden. Derlei Konferenzen würden da u.U. eine Gelegenheit bieten, den katholischen Glauben zu erklären und solche Vorurteile abzubauen. Dadurch könnten indirekt auch Fragen, die bei Nichtkatholiken bestehen, beantwortet werden. Aber auch für die direkte Beantwortung solcher Fragen bestünde eine Möglichkeit – sofern ernstes Interesse beim Gegenüber besteht. Daher verbietet das Heilige Offizium diese Versammlungen nicht grundsätzlich. Allerdings muss „die Hoffnung auf guten Erfolg“ tatsächlich begründet sein. Und selbst für diesen Fall trifft es klare Anweisungen, die dazu dienen sollen, der Gefahr des Indifferentismus, die es deutlich sieht, vorzubeugen. So müssen die Versammlungen von den Ordinarien begleitet werden, geschulte Priester sollen ernannt werden, die in der Lage sind, den katholischen Glauben gut darzulegen und zu verteidigen, Gläubige brauchen eine besondere Erlaubnis, überhaupt teilzunehmen, und auch bei ihnen muss es sich dann um Leute handeln, die gut unterrichtet sind. Größere Versammlungen bedürfen besonderer vorhergehender Prüfung, da sie erfahrungsgemäß „wenig Frucht und im allgemeinen mehr Gefahren“ mit sich bringen.
Pius XII. stand vor einem nicht einfachen Problem. Auf der einen Seite erkannte er die positive Energie, die (zumindest in seinen Augen) in der katholischen Bevölkerung steckte und sich in Bemühungen betätigen wollte, die den Akatholiken den Weg zur Bekehrung ebnen sollten, und wollte diese Energie nicht einfach durch ein generelles Verbot von Gesprächen mit Akatholiken unterdrücken. Er sah offenbar den missionarischen oder pastoralen Wert, den solche Bemühungen haben können. Auf der anderen Seite sah er aber ganz klar die Gefahren, die solche Unternehmungen mit sich bringen. In diesem Zugzwang hat er mit „De Motione ‚Oecumenica‘“ doch eine sehr kluge Anordnung getroffen.
Man könnte Pius XII. allerdings vorhalten, dass noch sein Vorgänger Pius XI. in seinem Rundschreiben „Mortalium Animos“ die Teilnahme von Katholiken an akatholischen Konferenzen grundsätzlich verboten hat: „Bei dieser Sachlage ist es klar, dass weder der Apostolische Stuhl in irgendeiner Weise an ihren Konferenzen teilnehmen kann, noch dass es den Katholiken irgendwie erlaubt sein kann, diese Versuche zu unterstützen oder an ihnen mitzuarbeiten. Wenn sie das täten, so würden sie einer falschen christlichen Religion, die von der einen Kirche Christi grundverscheiden ist, Geltung verschaffen. Können wir dulden, was doch eine große Gottlosigkeit wäre, dass die Wahrheit, und zwar die von Gott geoffenbarte Wahrheit zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht wird?“3
Zunächst ist es denke ich wichtig, zu wissen, dass das Kirchenrecht von 1917/18 im can. 1325 § 3 folgendes sagt: „Es ist Katholiken nicht gestattet, mit Akatholiken Disputationen oder Erörterungen anzustellen. Dieses Verbot gilt besonders für öffentliche Disputationen und Erörterungen. Wenn solche Disputationen gehalten werden sollen, dann ist dazu die Erlaubnis des Apostolischen Stuhles notwendig. In dringenden Fällen kann auch der Ortsordinarius die Erlaubnis geben“ (Herv. orig.).4
Selbst wenn das Kirchenrecht von 1917/18 also im allgemeinen die Teilnahme von Katholiken an derlei Disputationen verbietet, so räumt es doch offenbar auf der anderen Seite die Möglichkeit - allerdings nur mit Erlaubnis des Apostolischen Stuhles – einer solchen Teilnahme ein.
Pius XII. steht somit mit seinen Ausführungen noch auf dem Boden des Kirchenrechts. Wie kommt es aber zu diesem anscheinenden Gegensatz zur Aussage Pius’ XI.? Lesen wir noch weiter in „Mortalium Animos“, um den Hintergrund zu beleuchten, vor dem das Urteil Pius’ XI. steht:
„Ganz ähnlich wollen nun einige auch auf dem Gebiete vorgehen, das der von Christus dem Herrn festgelegten Ordnung des Neuen Bundes unterliegt. Durch die Erkenntnis der Tatsache, dass es nur sehr wenige Menschen gibt, denen jeder religiöse Sinn abgeht, glauben sie sich zu der Hoffnung berechtigt, es werde sich bei aller Verschiedenheit der Völker bezüglich der religiösen Ansichten doch ohne Schwierigkeit eine brüderliche Übereinstimmung im Bekenntnis gewisser Wahrheiten als gemeinsamer Grundlage des religiösen Lebens erreichen lassen. Zu diesem Zwecke halten sie vor einer zahlreichen Zuhörerschaft Konferenzen, Versammlungen und Vorträge, zu denen sie alle ohne jeden Unterschied zur Aussprache einladen: Heiden jeder Art und Christen, und endlich auch jene, die unseligerweise von Christus abgefallen sind oder die seine göttliche Natur und seine göttliche Sendung erbittert und hartnäckig bekämpfen.
Derartige Versuche können von den Katholiken in keiner Weise gebilligt werden. Sie gehen ja von der falschen Meinung jener aus, die da glauben, alle Religionen seien gleich gut und lobenswert, weil alle, wenn auch in verschiedenen Formen, doch gleichermaßen dem uns angeborenen und natürlichen Sinn Ausdruck geben, durch den wir nach Gott verlangen und uns seiner Oberherrschaft gehorsam unterwerfen.“
Die Voraussetzung, von der Pius XI. ausgeht, sind also Konferenzen, die versuchen, „eine brüderliche Übereinstimmung im Bekenntnis gewisser Wahrheiten als gemeinsamer Grundlage des religiösen Lebens“ zu erreichen. Mit anderen Worten Konferenzen, die zum Ziel haben, eine allen Teilnehmern gemeinsame „Religion“ zu finden, die in einem „gemeinsamen Nenner“ aller Religionen besteht.
Aber genau gegen solche Versuche richtet sich auch Pius XII., wie wir oben gesehen haben. Er geht bei seinem Urteil von ganz anderen Voraussetzungen aus. Denn er erlaubt die Konferenzen, von denen er spricht, nur vor dem Gedanken, dass sie evtl. die Gelegenheit bieten, den katholischen Glauben darzustellen und die Andersgläubigen zum katholischen Glauben zu führen. Wenn diese Hoffnung nicht besteht, dann sieht auch Pius XII. keinen Sinn in ihnen. Er sagt, dass „die Konferenzen selber (dann) rechtzeitig aufgelöst oder allmählich eingestellt werden (sollen)“. Unter der Voraussetzung, von der Pius XI. ausgeht, verbietet also auch Pius XII. diese Versammlungen.
Kann man nach diesen Überlegungen Pius XII. vorwerfen, er habe die Ökumenische Bewegung anerkannt? Doch wohl nicht. Er hat zwar die Möglichkeit von Konferenzen von Katholiken und Akatholiken nicht generell ausgeschlossen. Aber wie wir gesehen haben, tut auch das Kirchenrecht von 1917/18 das nicht. Außerdem erlaubte er wie gesagt diese Konferenzen nur insofern, als sie eine Gelegenheit bieten, den wahren Glauben darzustellen und dadurch die Irrenden für die Wahrheit zu gewinnen, und keinesfalls, um Gemeinsamkeiten im Bekenntnis der verschiedenen Konfessionen oder Religionen festzustellen, die dann Grundlage gemeinsamer religiöser Aktivitäten werden könnten. Auch sieht er ganz klar die Gefahren, die solche Konferenzen mit sich bringen können, und tritt diesen dadurch entgegen, dass er klare und z.T. sehr einschränkende Bedingungen und Richtlinien aufstellt, die bis zu einer Auflösung dieser Versammlungen gehen, wenn keine Hoffnung auf Erfolg besteht und wenn die Gefahren größer sind als der erhoffte Erfolg. Die Ökumenische Bewegung im Sinne einer Findung einer gemeinsamen Grundlage eines überkonfessionellen „Glaubens“ hat er klar abgelehnt und auch gesagt, dass religiöse Einheit nur in der einen Wahrheit erreicht werden kann.

P. Johannes Heyne

1 Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 1, Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, hrsg. von Peter Hünermann, Herder Verlag, 2009
2 Die Zitate aus der Instruktion „De Motione ‚Oecumenica‘“ sind genommen aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Paulusverlag, 1953
3 Die Zitate aus dem Rundschreiben „Mortalium Animos“ sind genommen aus: Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Paulusverlag, 1953
4 Jone, Gesetzbuch des kanonischen Rechtes, II. Band, Sachenrecht, Ferdinand Schöningh Verlag, 1940

 

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